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Gedanken austauschen – Harald Uebler

Wie viele Worte können zwei Menschen mit einander wechseln? Wie viele Themen besprechen, wie viele Fragen stellen, wie viele Antworten geben? Wenn ein Paar 20 Jahre zusammenlebt, dann hat es bereits 7300 Tage miteinander verbracht oder 175 200 Stunden. Kann es überhaupt sein, dass sich zwei Menschen nach so vielen Jahren noch etwas zu sagen haben? Wurde nicht längst alles ausgesprochen? Reduzieren sich da Gespräche nicht irgendwann zwangsläufig auf das Alltägliche? Manchmal fällt es ja schon schwer, sich mit einem anderen Menschen nur eine halbe Stunde zu unterhalten, ohne dass der Gesprächsstoff ausgeht. 20 oder noch mehr Jahre können eine Ewigkeit sein.


Gerade in diesen Tagen können Gespräche zu zweit so wichtig, so wertvoll sein. Gerade weil uns so viele Möglichkeiten der Ablenkung oder anderweitiger Beschäftigungen versagt sind, kommt dem Austausch mit dem Menschen, der einen am nächsten steht, eine besondere Bedeutung zu. Was aber, wenn genau dieser Austausch im Lauf der Jahre weniger geworden ist?


Dass zwischen Paaren irgendwann eine Art Sprachlosigkeit einkehrt, ist keine Seltenheit. Oft verhält es sich so, der eine schweigt, der andere leidet.
„Ich möchte so oft meine Gedanken mitteilen, jedoch, niemand will sie hören …“
Nicht gehört zu werden ist schlimm. Nicht gehört zu werden, heißt, nicht verstanden zu werden. Verständnis ist neben Vertrauen eine der Grundfesten der Liebe. Verständnis setzt Interesse voraus. Aufeinander neugierig bleiben – auch wenn man schon lange zusammen lebt.


Paartherapeuten empfehlen bei Wortkargen Partnerschaften, mehr miteinander zu reden. Das geht womöglich am Kern der Sache vorbei, weil es ungenau formuliert ist. Denn zu reden, reicht nicht aus. Wer nur redet, läuft schnell Gefahr, am Gegenüber vorbeizureden. Wir Menschen haben es in der Kunst, viel zu sprechen und dabei wenig zu sagen, erstaunlich weit gebracht.

Harald Uebler – Inspiriert tvhus HUE/02.2021

Viel entscheidender als das Reden ist der echte Austausch von Gedanken. Wer Gedanken austauscht, der redet nicht nur – der bietet sein Innerstes dar. Der spricht über Dinge, die ihn wirklich bewegen. Der hört auch zu. Das Schöne am Gedankenaustausch besteht darin, dass es ein Geben und Nehmen ist.
Zwei Menschen sind bereit, sich wirklich aufeinander einzulassen, statt sich mit Phrasen zu begnügen.


Gedankenaustausch ist immer ein Abenteuer, ein Wagnis – aber auch ein Weg, einem Menschen nahezukommen und nahezubleiben. Niemals Langweilig wird es, wenn wir bereit sind, uns wirklich für die Gedanken des anderen zu interessieren.
Das erfordert freimütig zu sein, den Mut zu haben, alte Denkmuster zu durchbrechen, offen zu bleiben und nicht vorschnell zu urteilen. Mit anderen Worten: Es ist nicht unbedingt einfach, das alles zu leisten. Aber dieser Dienst an der Liebe lohnt sich, weil er uns als Paar stärker und aufmerksamer macht. Und wer weiß: Wenn wir die Quelle des Gedankenaustauschs einmal zum Sprudeln bringen, wird sie womöglich nie mehr versiegen und uns stets mit frischem Wasser speisen.